.... Und wir dachten das KKID wäre Indien.... oder Ankunft und erste Tage in Prachodana
In Prachodana angekommen, bekommen wir erstmal die Breitseite: es
regnet, ist ekelig schwül, Stromausfall, also stockduster, und das gesamte
Kinderheim ist beängstigend diszipliniert aufgereiht, um uns zu begrüßen. Doch
als wir dann im gemütlichen Büro des Director Sir sitzen und sich herausstellt,
dass er ein total netter, engagierter Chef ist, fühlen wir uns ganz wohl.
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Prachodana ist ganz anders als wir denken. Ja gut, es sieht fürs
deutsche Auge nicht so heimelig aus, wie man sich das vielleicht für ein
Kinderheim wünscht. Aber als wir die Case Studies der Kinder lesen merken wir,
wie gut sie es hier haben. Und in so manchen Momenten - wo wir dann mit den
Kindern zu 15. eine Runde UNO spielen - denken wir uns, wie toll das ist, dass
diese Kinder mit uns UNO spielen können, nicht mehr Lumpen sammeln oder betteln
müssen. Da dürfen sie auch noch noch so laut beim Spielen rumbrüllen. Generell
sind wir beeindruckt davon, wie man so viel Freude haben kann, und so viel
Unsinn machen kann, wenn man schon so viel schlimmes in seinem Kinderleben
erlebt hat.
Wie das „typische“ Indien in Prachodana gelebt wird:
Diese „steife“ indische Hierarchie, gibt‘s hier nicht immer und
überall. Shruthi und Asha scheuen sich keinen Moment mit den Kindern und uns
„Rock Banana“ zu spielen. („Rock Banana“ ist ein Spiel bei dem man verschiedene
Aktivitäten mit einer imaginären Banane im Chorus nachahmen muss). Shruthi
scherzt auch mit den in Prachodana arbeitenden Männern kräftig rum. Wenn jedoch
etwas passiert, was der Director Sir betrifft, muss die Disziplin gewahrt sein.
An unserem 2. Tag ist der Schlüsselbund verschwunden. Das Kinderheim in heller
Aufregung, alle suchen. Er wird gefunden - auf den Wassertank des Heims, auf
dem Dach. Darauf folgt eine Versammlung und eine ernste Ansprache des Director
Sirs höchstpersönlich.
Irgendwie ist das das richtige Maß an Hierachie - finden wir bis jetzt.
Mentoren und wir Freiwillige sind Freunde und Schwestern bis zu einem
bestimmten Grad, doch in letzter Instanz Respektspersonen. Außerdem darf man
nicht vergessen, dass in Prachodana immerhin 45 Kinder leben, die gebändigt
werden müssen.
Das Einzige, was uns ein bisschen befremdlich vorkommt, ist, dass
alles, was mit uns zu tun hat eine Rücksprache mit dem Director Sir bedarf. Wir
haben nämlich vor an der Primary School, die unsere Kinder besuchen, montags
und freitags Spoken English zu geben. Und zwar ein Stunde für alle, die
komplette Schule, einschließlich Lehrer. Wir fragen Director Mr. Poulouse,
seine Antwort „You can try“. Okay. Das werden wir.
Wir bekommen immer ein bisschen besseres Essen als die Kinder, das
fühlt sich blöd an. Neben ihnen auf dem Boden zu sitzen und etwas anderes auf
dem Teller zu haben. Zum Beispiel bekommen wir statt dem Ragi-Ball - er ist
einfach eine Mischung aus Fingerhirse und Wasser- Chapati. Auf der anderen
Seite finden wir es nett, dass die Küche extra für uns besonderes Essen machen
will. Die Kinder scheint‘s nicht zu stören.
Hierarchie „zum Anfassen“ erleben wir bei der Police Registration. Beim
dritten Besuch auf der Police Station (die ersten zweimal gab‘s immer neue
Probleme) werden wir in das Büro des Police Officer des ganzen District Hassan
gebeten. Die maschinengewehrartige -
dank indischem Akzent auch noch unverständliche - Abfrage seitens des Officers
schüchtert uns erstmal ein. Von „What vegetables you eat in Germany?“, „Who is
comparable to Gandhi in Germany?“ bis zu „Father‘s Name?“ werden wir kreuz und
quer zu unserem Leben in Deutschland befragt. Nach dem Besuch erfahren wir,
dass das eben kein Test war, sondern reines Interesse. Zudem eine große Ehre,
da er einer der wichtigsten Männer Hassans ist und viel beschäftigt sei.
Trotzdem, auch bei diesem dritten Besuch ist unsere Police Registration nicht
erfolgreich, und wir müssen am nächsten Tag ein viertes Mal hin. Bürokratie
in Indien ist - wie wir sie erlebt haben - unübersichtlich, undurchschaubar
und grenzenlos kompliziert.
Das ordentliche Kleiden und die ordentlichen Frisuren, die uns
so eingebläut wurden, sind hier nebensächlich. Auf der einen Seite weil es
nicht anders geht, auf der anderen Seite, weil andere Sachen eben wichtiger
sind. Doch ein No-Go gibt es trotzdem: Leggins tragen unter Churidhars geht in Prachodana nicht,
erklärt uns Shruthi, als wir uns die zweite Kollektion Churidhars zulegen.
Außerdem sind Schal und schön straff zurück gekämmte Haare gerne gesehen,
jedoch soweit wir das verstehen, kein Muss. Asha macht uns manchmal Frisuren,
die Haare die dabei drauf gehen (indische Kämme sind recht fein) buchen wir als
Opfer für den kulturellen Austausch ab.
Nein, nicht jeder Inder kann Englisch. Man merkt, das ohne
Bildung echt wenig läuft. Manche Kinder, die recht frisch von der Straße sind,
können sich fast gar nicht verständigen. Die Sprach-Barriere ist bei vielen
höher als wir erwartet hatten. Vorallem bei den Kleinen, die erst vor Kurzem
über das Childline-Programm ins Heim gekommen sind. Umso mehr Freude macht es
uns mit den älteren Schülern der zum Heim gehörigen Brückenschule zu tratschen.
Die Sprachbarriere bei den meisten ist so hoch, dass wir es nicht schaffen
ihnen Brennball beizubringen. Dafür freuen wir uns umso mehr als sie das Spiel
„Blinzeln“ verstehen.
Man kennt hier Deutsche und ihre Gewohnheiten.
Man hatte schon mehrere Freiwillige und spürt, dass wir - hier im Heim
jedenfalls - nichts besonderes sind. Auf der Straße und im Viertel werden wir
trotzdem noch angestarrt, angehupt und manchmal auch dumm angesprochen und was
am unangenehmsten von allem ist: fotografiert.
Das scharfe Essen, das ist einfach so. Ob
morgens, mittags, abends, das Essen in Prachodana ist und bleibt scharf.
Der Hinduismus begegnet uns erstmal überhaupt
gar nicht. Wir kommen am Abend des 14.8 an. Am 15.8. ist der Independence Day.
Das bedeutet Flagge hissen, Gandhi ehren, vor dem Director Sir salutieren und
danach in die Kirche. Und zwar in eine Katholische. Mit (fast) allem Kindern
und der Familie des Direktors in zwei Jeeps gequetscht fahren wir los. Die Kirche ist ein großer Saal in einem
Zentrum medizinischer Ausbildung für Mädchen. Am Ende des Gottesdienstes fängt
der Pfarrer plötzlich an Deutsch zu reden, begrüßt uns und fordert uns auf vor
zukommen, auf die Bühne und etwas auf deutsch zu singen. Wir sind verdutzt, in
der Kirche sitzen 400 Leute. Schnell entscheiden wir uns für „Viel Glück und
viel Segen“. Sonntags, bei unserem zweiten Kirchenbesuch, werden wir nach dem
Gottesdienst noch in die Jugendgruppen „eingeladen“. Sie besteht zur Hälfte aus
Krankenschwestern (alles Mädchen) in Ausbildung und Ingenieure (alles Jungs) in
Ausbildung. Der Beginn des Jugendgruppen-Treffens bildet das Rosenkranz-Beten.
Unser wöchentliches Teilnehmen ist erwünscht, wir müssen uns das allerdings
nochmals überlegen.
Auch im Heim wird viel gebetet: Vor jedem Essen, Morgens vor der
Morgengymnastik und abends vor der Study-Time.
Alles in allem scheint es Euch gut zu gehen. Das mit den Leggings könnten wir in Deutschland übernehmen. Seid gegrüßt!
AntwortenLöschenNikolaus
Es ist schön zu hören das es euch dort gut geht
AntwortenLöschenLg
Liebe Jule,
AntwortenLöschenwir haben gerade Omas phänomenalen Schweinebraten mit Knödeln genossen und lesen mit großem Interesse euren ausführlichen Blog. Kaum vorstellbar, dass du nun so weit weg bist und so viele interessante neue Eindrücke sammeln kannst! Wir sind eben aus der Normandie zurückgekehrt und gewöhnen uns gerade wieder an das etwas regnerische München. Verglichen mit deiner Reise ist das ja ein Katzensprung. Auf die Fortsetzung eurer Aktivitäten sind wir sehr gespannt, vor allem, wie ihr das mit dem Englischkurs hinkriegt!!!
Viele liebe Grüße!
Annegret
Schön, dass ihr euch mit Director Sir und dem Staff so gut versteht. Beeindruckend dass ihr sogar zum Jugendgruppentreffen geht, da wird doch bestimmt auch nur Malayalam gesprochen oder? Aber Mr. Poulose ist sicher richtig stolz auf euch. :)
AntwortenLöschenWünsche euch weiterhin gutes Einleben in Prachodana,
Robin
Hi Annegret, auf den Schweinebraten bin ich neidisch! Über den Englischkurs werden wir berichten und ich freu mich dass ihr alle den Blog lest. Liebe Grüße zurück, Jule
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