Mittwoch, 27. August 2014

.... Und wir dachten das KKID wäre Indien.... oder Ankunft und erste Tage in Prachodana


In Prachodana angekommen, bekommen wir erstmal die Breitseite: es regnet, ist ekelig schwül, Stromausfall, also stockduster, und das gesamte Kinderheim ist beängstigend diszipliniert aufgereiht, um uns zu begrüßen. Doch als wir dann im gemütlichen Büro des Director Sir sitzen und sich herausstellt, dass er ein total netter, engagierter Chef ist, fühlen wir uns ganz wohl.

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Prachodana ist ganz anders als wir denken. Ja gut, es sieht fürs deutsche Auge nicht so heimelig aus, wie man sich das vielleicht für ein Kinderheim wünscht. Aber als wir die Case Studies der Kinder lesen merken wir, wie gut sie es hier haben. Und in so manchen Momenten - wo wir dann mit den Kindern zu 15. eine Runde UNO spielen - denken wir uns, wie toll das ist, dass diese Kinder mit uns UNO spielen können, nicht mehr Lumpen sammeln oder betteln müssen. Da dürfen sie auch noch noch so laut beim Spielen rumbrüllen. Generell sind wir beeindruckt davon, wie man so viel Freude haben kann, und so viel Unsinn machen kann, wenn man schon so viel schlimmes in seinem Kinderleben erlebt hat.


Wie das „typische“ Indien in Prachodana gelebt wird:

Diese „steife“ indische Hierarchie, gibt‘s hier nicht immer und überall. Shruthi und Asha scheuen sich keinen Moment mit den Kindern und uns „Rock Banana“ zu spielen. („Rock Banana“ ist ein Spiel bei dem man verschiedene Aktivitäten mit einer imaginären Banane im Chorus nachahmen muss). Shruthi scherzt auch mit den in Prachodana arbeitenden Männern kräftig rum. Wenn jedoch etwas passiert, was der Director Sir betrifft, muss die Disziplin gewahrt sein. An unserem 2. Tag ist der Schlüsselbund verschwunden. Das Kinderheim in heller Aufregung, alle suchen. Er wird gefunden - auf den Wassertank des Heims, auf dem Dach. Darauf folgt eine Versammlung und eine ernste Ansprache des Director Sirs höchstpersönlich.
Irgendwie ist das das richtige Maß an Hierachie - finden wir bis jetzt. Mentoren und wir Freiwillige sind Freunde und Schwestern bis zu einem bestimmten Grad, doch in letzter Instanz Respektspersonen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass in Prachodana immerhin 45 Kinder leben, die gebändigt werden müssen.
Das Einzige, was uns ein bisschen befremdlich vorkommt, ist, dass alles, was mit uns zu tun hat eine Rücksprache mit dem Director Sir bedarf. Wir haben nämlich vor an der Primary School, die unsere Kinder besuchen, montags und freitags Spoken English zu geben. Und zwar ein Stunde für alle, die komplette Schule, einschließlich Lehrer. Wir fragen Director Mr. Poulouse, seine Antwort „You can try“. Okay. Das werden wir.

Wir bekommen immer ein bisschen besseres Essen als die Kinder, das fühlt sich blöd an. Neben ihnen auf dem Boden zu sitzen und etwas anderes auf dem Teller zu haben. Zum Beispiel bekommen wir statt dem Ragi-Ball - er ist einfach eine Mischung aus Fingerhirse und Wasser- Chapati. Auf der anderen Seite finden wir es nett, dass die Küche extra für uns besonderes Essen machen will. Die Kinder scheint‘s nicht zu stören.

Hierarchie „zum Anfassen“ erleben wir bei der Police Registration. Beim dritten Besuch auf der Police Station (die ersten zweimal gab‘s immer neue Probleme) werden wir in das Büro des Police Officer des ganzen District Hassan gebeten. Die maschinengewehrartige  - dank indischem Akzent auch noch unverständliche - Abfrage seitens des Officers schüchtert uns erstmal ein. Von „What vegetables you eat in Germany?“, „Who is comparable to Gandhi in Germany?“ bis zu „Father‘s Name?“ werden wir kreuz und quer zu unserem Leben in Deutschland befragt. Nach dem Besuch erfahren wir, dass das eben kein Test war, sondern reines Interesse. Zudem eine große Ehre, da er einer der wichtigsten Männer Hassans ist und viel beschäftigt sei. Trotzdem, auch bei diesem dritten Besuch ist unsere Police Registration nicht erfolgreich, und wir müssen am nächsten Tag ein viertes Mal hin. Bürokratie in Indien ist - wie wir sie erlebt haben - unübersichtlich, undurchschaubar und grenzenlos kompliziert.

Das ordentliche Kleiden und die ordentlichen Frisuren, die uns so eingebläut wurden, sind hier nebensächlich. Auf der einen Seite weil es nicht anders geht, auf der anderen Seite, weil andere Sachen eben wichtiger sind. Doch ein No-Go gibt es trotzdem: Leggins tragen  unter Churidhars geht in Prachodana nicht, erklärt uns Shruthi, als wir uns die zweite Kollektion Churidhars zulegen. Außerdem sind Schal und schön straff zurück gekämmte Haare gerne gesehen, jedoch soweit wir das verstehen, kein Muss. Asha macht uns manchmal Frisuren, die Haare die dabei drauf gehen (indische Kämme sind recht fein) buchen wir als Opfer für den kulturellen Austausch ab.

Nein, nicht jeder Inder kann Englisch. Man merkt, das ohne Bildung echt wenig läuft. Manche Kinder, die recht frisch von der Straße sind, können sich fast gar nicht verständigen. Die Sprach-Barriere ist bei vielen höher als wir erwartet hatten. Vorallem bei den Kleinen, die erst vor Kurzem über das Childline-Programm ins Heim gekommen sind. Umso mehr Freude macht es uns mit den älteren Schülern der zum Heim gehörigen Brückenschule zu tratschen. Die Sprachbarriere bei den meisten ist so hoch, dass wir es nicht schaffen ihnen Brennball beizubringen. Dafür freuen wir uns umso mehr als sie das Spiel „Blinzeln“ verstehen.

Man kennt hier Deutsche und ihre Gewohnheiten. Man hatte schon mehrere Freiwillige und spürt, dass wir - hier im Heim jedenfalls - nichts besonderes sind. Auf der Straße und im Viertel werden wir trotzdem noch angestarrt, angehupt und manchmal auch dumm angesprochen und was am unangenehmsten von allem ist: fotografiert.

Das scharfe Essen, das ist einfach so. Ob morgens, mittags, abends, das Essen in Prachodana ist und bleibt scharf.

Der Hinduismus begegnet uns erstmal überhaupt gar nicht. Wir kommen am Abend des 14.8 an. Am 15.8. ist der Independence Day. Das bedeutet Flagge hissen, Gandhi ehren, vor dem Director Sir salutieren und danach in die Kirche. Und zwar in eine Katholische. Mit (fast) allem Kindern und der Familie des Direktors in zwei Jeeps gequetscht fahren wir los.  Die Kirche ist ein großer Saal in einem Zentrum medizinischer Ausbildung für Mädchen. Am Ende des Gottesdienstes fängt der Pfarrer plötzlich an Deutsch zu reden, begrüßt uns und fordert uns auf vor zukommen, auf die Bühne und etwas auf deutsch zu singen. Wir sind verdutzt, in der Kirche sitzen 400 Leute. Schnell entscheiden wir uns für „Viel Glück und viel Segen“. Sonntags, bei unserem zweiten Kirchenbesuch, werden wir nach dem Gottesdienst noch in die Jugendgruppen „eingeladen“. Sie besteht zur Hälfte aus Krankenschwestern (alles Mädchen) in Ausbildung und Ingenieure (alles Jungs) in Ausbildung. Der Beginn des Jugendgruppen-Treffens bildet das Rosenkranz-Beten. Unser wöchentliches Teilnehmen ist erwünscht, wir müssen uns das allerdings nochmals überlegen.
Auch im Heim wird viel gebetet: Vor jedem Essen, Morgens vor der Morgengymnastik und abends vor der Study-Time.



5 Kommentare:

  1. Alles in allem scheint es Euch gut zu gehen. Das mit den Leggings könnten wir in Deutschland übernehmen. Seid gegrüßt!
    Nikolaus

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  2. Es ist schön zu hören das es euch dort gut geht

    Lg

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  3. Liebe Jule,

    wir haben gerade Omas phänomenalen Schweinebraten mit Knödeln genossen und lesen mit großem Interesse euren ausführlichen Blog. Kaum vorstellbar, dass du nun so weit weg bist und so viele interessante neue Eindrücke sammeln kannst! Wir sind eben aus der Normandie zurückgekehrt und gewöhnen uns gerade wieder an das etwas regnerische München. Verglichen mit deiner Reise ist das ja ein Katzensprung. Auf die Fortsetzung eurer Aktivitäten sind wir sehr gespannt, vor allem, wie ihr das mit dem Englischkurs hinkriegt!!!

    Viele liebe Grüße!

    Annegret

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  4. Schön, dass ihr euch mit Director Sir und dem Staff so gut versteht. Beeindruckend dass ihr sogar zum Jugendgruppentreffen geht, da wird doch bestimmt auch nur Malayalam gesprochen oder? Aber Mr. Poulose ist sicher richtig stolz auf euch. :)

    Wünsche euch weiterhin gutes Einleben in Prachodana,

    Robin

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  5. Hi Annegret, auf den Schweinebraten bin ich neidisch! Über den Englischkurs werden wir berichten und ich freu mich dass ihr alle den Blog lest. Liebe Grüße zurück, Jule

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