Samstag, 6. Dezember 2014

„Das Problem mit dem Müll“ - Es muss doch eine Lösung geben! 



Wie ihr vielleicht wisst, haben sich sich unsere Mitfreiwilligen Nena und Charlotte um "das Problem mit dem Müll" gekümmert. (Nena und Charlotte leisten ihr FSJ bei der NGO PDS in Kerala ab.) Ihre Präsentation ist wirklich beeindruckend und motivierte uns dazu, auch eine „Awareness-Class“ mit unseren Kindern durchzuführen. Aber Awareness hin oder her, wenn wir ihnen letzten Endes keine Lösung aufzeigen können, wo sie anstatt auf die Straße oder in die Hostel-Tonne den Müll schmeißen können, hilft ihnen ihr neu erlangtes Bewusstsein auch nicht weiter. Die Hostel-Tonne verabscheuen wir deshalb, weil der in ihr enthaltene Müll vor dem Hostel verbrannt wird. 

Es muss ihn doch geben, den Ort an den Plastik hingebracht wird. 

Irgendwo, hier in Hassan. Wir wissen von unseren Kindern aus dem Heim, das sie selbst oft Rag-Picker waren, bevor sie von der Childline „gerettet“ wurden. Rag-Picker sind Menschen, oft Kinder, die Müll sammeln, ihn an Orten abgeben und dafür entlohnt werden. Wo diese Orte sind, wer den Müll annimmt, wie viel er wert ist, wo er hinkommt, und wieso trotzdem hier überall soviel rumliegt bzw. verbrannt wird, dieses Rätsel haben wir versucht zu lösen.

Sajid, und Mounesh, zwei Mitarbeiter Prachodanas erklärten sich letzten Dienstag bereit, mit uns zu einer Müllsammelstelle zu fahren. Diese kennen sie, da sie dort im Dienste der Childline oft Kinder auflesen. Rag-Picker, Kinder wie Erwachsene, stehen vor den Toren dieser Orte frühmorgens Schlange, mit bis zum Rand gefüllten Säcken voller „wertvollem“ Müll. Die nächstgelegene Müllsammelstelle ist mit dem Auto in zehn Minuten zu erreichen. Wir stellen verblüfft fest, dass wir sie schon oft passiert haben müssen, ohne sie bemerkt zu haben. Es ist eine ca. 500qm große, von Wellblech eingerahmte Fläche mit mehreren großen Kompartimenten für die verschiedenen Müllarten. Ziemlich zentral steht der Tisch des „Owners“, er und zwei festangestellte Mitarbeiterinnen bilden das Unternehmen. 



Die zwei festangestellten Frauen verdienen 300 INR pro Tag, das sind knapp 4€.  Zum Vergleich, ein Coolie, das ist ein Bauarbeiter, verdient zwischen 300-500 INR pro Tag. In Karnataka gibt es, laut Sajid, einen Mindestlohn, dieser beträgt 300-400 INR pro Tag. Neben den zwei Frauen arbeiten hier noch ein 17jähriger Junge, und fünf weitere Frauen, die aushelfen. Sajid nennt sie „professionelle Rag-Picker“. Sie haben ihr Leben lang nichts anderes getan und werden wahrscheinlich auch nie etwas anderes, so sagt er, tun. Die Frauen erzählen, dass sie kleine Kinder haben. Sie leben mit ihren Familien in Zelten, haben keine feste Bleibe. Ihre Ehemänner, erzählen sie uns, sind Coolies. Die Frauen sind Analphabetinnen, so wie ca. 65% der Bevölkerung hier im Bundesstaat Karnataka. Sie erzählen uns, ihre Kinder würden zur Schule und in den staatlichen Kindergarten gehen. Mounesh vermutet hingegen ihre Kinder als eben solche Rag-Picker, die oft von der Childline eingesammelt werden. Das ein oder andere dieser eingesammelten Kinder landet daraufhin bei uns in Prachodana. Von der Bevölkerung bzw. von der regionalen wie auch nationalen Politik wird nichts getan um die Situation der Frauen und Kinder zu ändern, die tagtäglich Müll sammeln, um ihr Überleben zu sichern. Schließlich halten sie durch ihre Arbeit die Städte weitgehend sauber. Sajid und Mounesh erzählen uns von den Alkoholproblemen, die oft in solchen Familien vorherrschen.


Was der Staat rechtlich bewirkt hat: In Hassan dürfen nur Plastiktüten einer gewissen Dicke, also sehr dünne, ausgegeben werden. In Chikmagalur, weiß Sajid, weil er dort studierte, wird nur noch mit Stofftaschen eingekauft.  

Die Müllsammelstelle hat täglich von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr abends offen. Es gibt fünf bis sechs Orte dieser Art in Hassan. An guten Tagen beträgt der tägliche Umsatz der Müllsammelstelle maximal 2000 INR, erzählt uns der „Owner“. Das entspricht 26€. 

Das System ist Folgendes: Der Müll kann, wann immer die Stelle offen ist, abgegeben werden. Dort wird er vom „Owner“ höchstpersönlich am Schreibtisch gewogen. Der Müll muss von einer Qualität sein, die wiederverwertbar ist. Beispielsweise wird dünnes Bonbon-Papier nicht angenommen, im Gegensatz zu Pappe als Papiermüll und Zahnbüsten als hochwertigen Plastikmüll. Die Entlohnung für den jeweiligen Müll entspricht folgenden Zahlen:

  • 1kg „gutes“ Papier ist 12INR (16 Cent) wert
  • 1kg Plastik (Milchbeutel, Spritzen, alte Kämme, alte Zahnbürsten etc.) 15 INR (20 Cent)
  • 1kg Metall 20INR (26 Cent)
  • Pro Glasflasche 2INR (fast 3 Cent)

Gerade die Preise für Plastik unterliegen einer starken Fluktuation, weshalb einige der erfahrenen Rag-Picker ihr Gesammeltes von Zeit zu Zeit zurückhalten, um es zum geeigneten Zeitpunkt für eine höher Bezahlung abzugeben. 
Wurde der Bringer entlohnt, wird der Müll an die Arbeiter weitergegeben, die ihn sortieren. Eindrucksvoll penibel, wie ihr hier sehen könnt: 





Milch-, Joghurt-, und Curdtüten kommen in einen Sack, Zahnbürsten und Kämme in einen und Schuhe in einen anderen. 

Der Müll wird wöchentlich mit Lastwagen, die vom „Owner“ gemietet werden, in große Städte gebracht. Uns werden Delhi und Bangalore genannt. Dort gibt es Unternehmen, die Verpackungen wiederverarbeiten. Das wird uns folgendermaßen erklärt: Die Marke des wiederzuverarbeitenden Materials ist nebensächlich, nur die Art der Verwendung und seine Qualität spielen eine Rolle. So wird eine Milchtüte von der Marke „Nandini“ nicht von dem Unternehmen „Nandini“ recycelt sondern von einer Zwischenfirma, die eben in Delhi oder Bangalore sitzt. Diese kauft dem „Owner“ den sortierten Müll ab, den früher einmal das ein oder andere (unserer) Kinder gesammelt hat. 

Was wir nun nicht verstehen: Wieso macht das nicht jeder Haushalt? Klar, Müll trennen mag anstrengend sein, aber wenn man sogar Geld dafür bekommt? 

Der Kern des Problem ist laut Mounesh und Sajid die Einstellung der Leute: Man will sich als gut situierter Einheimischer nicht neben die Rag-Picker in die Schlange zum Müllabgeben stellen. 

Die Haltung der Menschen ändert sich zu langsam im Verhältnis zur immer größer werdenden Menge an Müll. Es wird zwar das ein oder andere durch propagierende Maßnahmen, wie Modis Kampagne „For a Clean India“ getan, um die Einstellung der Menschen zu ändern, trotzdem ist der Weg zu den Müllsammelstellen zu lang und vorallem unschicklich. 


Hier landet der Müll in Hassan normalerweise


Vielleicht wird Müll trennen und abgeben ja irgendwann salonfähig. Sajid meint wir sollen in 60 Jahren wiederkommen. Außerdem bleibt da ja noch der Weg bis zu den Müllsammelstellen, den bis jetzt jeder selbst auf sich nehmen müsste. 

In Prachodana werden wir unseren Kinder Nenas und Charlottes Präsentation zeigen und eine Tonne für Plastikmüll aufstellen. Wir haben vor, diese an der uns nun bekannten Müllsammelstelle abzugeben. Nur werden wir das Problem vorsichtig angehen müssen, schließlich wollen wir unsere Kinder nicht mit ihrer Vergangenheit konfrontieren, sondern ihr Bewusstsein für die Umwelt schärfen. 

Dieser Artikel war ein schönes Gemeinschaftsprojekt von Franzi und Jule. Wir wollen noch hinzufügen, dass wir keine Garantie übernehmen für falsche Zahlen. Wir hatten nur die Chance ein Ort zu besuchen und haben demnach auch nur ein Gespräch mit einem "Owner" geführt. Wir konnten unsere Ergebnisse nicht vergleichen.  

1 Kommentar:

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