Samstag, 11. Oktober 2014


Malala, der Indien-Pakistan-Konflikt und ich

- wie der Friedensnobelpreis in mein FSJ passt


Heute ist der 9. Oktober, nachdem es Puliyogari zum Frühstück gab und wir uns einen Kaffe gemacht haben, sitzen wir im Zimmer und ich versuche mal wieder vergeblich mehr als nur die Titelseite von „THE HINDU“, unsere englischsprachigen indischen Zeitung zu lesen. Als erstes sticht mir ein Artikel über Todesfälle und verletzte Menschen an der indisch-pakistanischen Grenze ins Auge.
Schon anlässlich des Dasara Festivals zwei Tage vorher, gab es fünf Tote und 29 Verletzte bei einem Anschlag nahe Jammu und Kashmir durch pakistanische Soldaten. Man macht sich Gedanken, wie nun das Treffen zwischen Indiens Premier Minister Narenda Modi und Pakistans Premier Minister Nawaz Sharif ablaufen soll. Wie wird sich Modi im Bezug auf die Verletzung des Waffenstillstands verhalten? Dieser Waffenstillstand an der so genannten de-facto-Grenze zwischen Indien und Pakistan namens „Line of Control“ (LoC) war nie konstant. Sie soll seit 1947 eine Grenze des Waffenstillstands darstellen. Doch seitdem gab es des Öfteren bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan.

Heute ist der 10. Oktober, erschöpft von einem langem Tag gehe ich in das Office der Childline und mache den Computer an, um Bilder für unseren Blog hochzuladen. Da lese ich: Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi, eine pakistanische Muslimin und ein indischer Hindu haben gemeinsam den Nobelpreis erhalten. Für ihr Engagement um das Recht eines jeden Kindes auf freie Bildung. Die Begründung des Comittees ist: 

"The Nobel Committee regards it as an important point for a Hindu and a Muslim, an Indian and a Pakistani, to join in a common struggle for education and against extremism."
(http://time.com/3489227/malala-kailash-satyarthi-nobel-peace-prize-reaction/, aufgerufen am 11.10.14., 18:05)

Zuallererst muss ich daran denken, was ich heute Morgen gelesen habe. Eine Pakistani und ein Inder? Aus den zwei Ländern, die gerade wieder anfangen oder besser gesagt nie aufgehört haben sich in die Haare zu kriegen, setzen zwei Menschen gemeinsam ein Zeichen, sie schaffen gemeinsam Bewusstsein. Gut, dass ihnen da die LoC nicht im Weg steht.

Als nächstes fällt mir mein Englischunterricht der Oberstufe ein. Eine Muslimin und ein Hindu? Die Muslime wollten stets einen eigenen Staat. Durch die Teilung haben sie 1947 einen bekommen, was bedeutete, dass sie aus Indien rausmussten, über eine von London aus diktierte Grenze, nach Pakistan. Das Ziehen der Grenze war eine „... Zerschneidung des Landes in zwei verfeindete Staaten“ (GEOEpoche, "INDIEN", Nr.41, S.137). Die Massenflucht von Hindus nach Indien und von Muslimen nach Pakistan löste bürgerkriegsähnliche Unruhen aus. Muslimische und hinduistische Gruppen metzelten sich gegenseitig ab. Noch heute spürt man Spannungen zwischen Hindus und Muslimen. Immer wieder lodert Hass zwischen ihnen auf, erschüttern Attentate Indien. Man denke nur an die Anschläge auf Mumbai 2008. Man spürt diese Spannungen auch im Kleinen: Muslime und Hindus in Belur (eine Stadt nahe Hassans) leben in unterschiedlichen Vierteln, die SHGs unserer NGO sind nach Konfessionen getrennt. 

Über das alles mache ich mir einen Kopf, während ich im Büro der Childline sitze, in einer NGO, die ein Ziel hat: Kindesschutz und Zugang zu Bildung für Kinder

Einige Stunden später, als ich mit den Kindern Memory spiele, wird mir bewusst, wie gut es ist, dass sie hier in einem sicheren Umfeld aufwachsen und in die Schule gehen. Und wie viel wert solche Menschen wie Malala sind, die darauf aufmerksam machen, dass - wie das Nobel Preis Komitee verkündete - 168 Millionen Kinder auf unserer Welt immer noch arbeiten, betteln, Müll sammeln, anstatt, wie die Memory-spielenden Kinder um mich herum, eine Zukunftschance durch Bildung zu erhalten.

Das Malala und Satyarthi nun den Nobelpreis erhalten haben, betrifft mich als Freiwillige in meiner Organisation, in meinem Indien. Drei Aspekte sind für mich persönlich in der Übergabe des Preises vereint: Der ewige Streit zwischen Pakistan und Indien, wo ich mich bis März befinde, die Spannungen zwischen indischen Muslimen und Hindus, welche mich tagtäglich umgeben, und das Engagement um Bildung für jedes Kind, das jeden Tag vor meiner Nase, hier, aufgebracht wird. 

Diesen Artikel hat Jule geschrieben. Er wurde aber sowohl mit Franzi diskutiert als auch von ihr korrigiert. Den versprochenen Artikel über unsere NGO, wie sie aufgebaut ist und so weiter, haben wir (aus gegebenen Anlass) auf das nächste Mal verschoben. 

2 Kommentare:

  1. Liebes Julchen,
    Bildung schützt vor Armut und dient - behaupte ich - der Vermeidung religiös (oder wie auch immer) motivierter Konflikte. Super, dass das Nobelpreiskomitee ein Zeichen gesetzt hat. Noch toller, dass Ihr aktiv dabei mithelft, dass nicht nur geredet wird, sondern wirklich etwas getan wird. Ihr und Prachodana seid sozusagen integrales Element der Bewegung gegen Kinderarmut und für Bildung und so einen winzig kleinen Fitzel vom Nobelpreis könnt Ihr Euch vielleicht auch ans Revers heften. Und wenn Eure Kinder mal in Memory gewinnen wollen, dann spielen sie einfach mit mir, wenn ich da bin - das motiviert alle (außer mich) und Erfolg ist die beste Motivation ;-).
    Alles Gute Euch beiden!
    Hubertus

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  2. Sehr gut reflektiert und die Verknüpfung hergestellt. Bravo!

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