Mittwoch, 10. September 2014

„It‘s culture“ 

- Franzi, Jule und der Hinduismus


Seit wir da sind und mit dem Hinduismus konfrontiert werden, stellen wir uns die Frage: Ab wann können wir es mit uns vereinbaren einen Brauch mitzumachen oder ihn sein zulassen? 


Wenn wir hier auf das Christentum treffen, müssen wir nicht überlegen. Die Male, die wir mit dem Heim in der katholischen Kirche waren, haben wir unsere Haare nicht wie alle Frauen mit einem Schal bedeckt. Schließlich machen wir das in Deutschland auch nicht. 

Aber beim Hinduismus? In einem Tempel, sollen wir auch rückwärts rausgehen, um niemandes Gott zu verachten? Sollen wir ebenfalls mit Räucherstäbchen einen Rechts-Bogen schwenken? Das geweihte Wasser trinken, dass uns der Priester gibt? Uns den Rauch zufächeln? Uns den Punkt aufdrücken? Gehört das zum Cultural Exchange?


Gerade während des Ganesha Festivals, wo wir täglich um die zwei mal einen Tempel besuchten, mussten wir uns jedes Mal entscheiden, ob wir die Bräuche mitmachen, sozusagen mitfeiern, oder nicht. 

Ohne den Sinn komplett zu verstehen einen Brauch mitzumachen scheint uns respektlos. Was ist, wenn jemandem dieser Brauch viel bedeutet? Umgekehrt gedacht: Ein Ausländer feiert in einem christlich geprägten Land Weihnachten, ohne das Wissen, dass es diesen Tag zu Ehren Jesu Geburt gibt. Das Interesse über den Hintergrund, das Wissen über den Brauch, erscheint uns als das mindeste, was man als Brückenbauer des kulturellen Austauschs machen sollte. Wir würden das umgekehrt auch erwarten.

Doch genau hier ist das Problem. Der Hinduismus zeigt sich uns als eine Religion, die einfach aus Bräuchen besteht, zu denen es kein Hintergrundwissen gibt. Wenn wir die Bräuche hinterfragen, lautet die Antwort: „It‘s culture“.
Man (oder unsere Mentorin) macht die jeweiligen Bräuche anscheinend einfach, wenn Puja angesagt ist. Die Bräuche kommen uns vor wie eine Aktion, die man einfach ausführt, eine Gewohnheit.
Immer einen tiefen Sinn und eine Erklärung zu erwarten, kann einem vielleicht auch im Weg stehen. Wenn es keinen richtigen Hintergrund gibt, sind die Bräuche Gewohnheiten, die alle (einschließlich uns) einfach mitmachen können. 

Als wir in Chitradurga während des Ganesha-Festivals waren, haben uns Kinder gebeten mit ihnen in eine Straße einzubiegen. Wir kamen gerade von einer großen Ganesha-Veranstaltung: Wir aßen mit ganz vielen Menschen  zusammen in einem Zelt, vorne die Ganesha Statue, alles war geschmückt. Zahlen war freiwillig. Die Kinder zeigten uns ihre Miniversion dieser Veranstaltung: Sie hatten sich selbst ein Zelt gebaut und einen Mini-Ganesha. Sie waren total stolz und führten all die Bräuche vor der Statue aus, die sonst ein Priester machen würde. Das hat uns vor Auge gehalten, wie schön das eigentlich ist, wenn jeder einfach mitmachen kann. Keiner besonderen Legitimation bedarf, und der Brauch im Vordergrund steht. 

Wir werden oft gefragt, ob wir auch solche Festivals haben in Deutschland. Unsere Antwort ist dürftig. Sie lautet immer, das größte sei Weihnachten. Ob das auch so wäre, werden wir dann gefragt, mit tanzen, gemeinsamen Essen, bunten Lichtern, lauter Musik, mehrere Tage lang? Nein, sagen wir dann. Weihnachten ist eher ruhig, besinnlich. jeder feiert im Kreise der Familie. Ostern gäbe es noch, aber das feiert auch nicht jeder groß. 

Hier beginnen wir, den Hinduismus - so wie wir ihn erleben - wertvoll zu finden. Bei uns feiern viele kein Ostern, kein Ernte Dank etc., weil man diese Tage so sehr mit ihrem theologischen Hintergrund verknüpft. Und viele sich mit diesem nicht identifizieren. Dadurch, dass hier dieser nicht so wichtig erscheint, wird der Hinduismus zu einer sehr offenen Religion. Bräuche werden zu Gewohnheiten, gleichzeitig kann jeder teilnehmen. Auch das gemeinsame Essen, das Gemeinschaftsgefühl, generell die Lust der Inder gemeinsam hinduistische Feste zu feiern, erscheint uns als etwas, für das es wert ist, Hintergrundwissen zu vernachlässigen. Es ist eine Religion gemacht für alle. Da können sogar zwei Volunteers aus Deutschland sich den roten Punkt mit gutem Gewissen aufdrücken lassen, beschließen wir. Trotzdem, dort wo wir gar keinen Sinn sehen und wo wir uns unwohl fühlen, lassen wir es sein. 


WARNUNG!!! Dieser Artikel erhält NUR UNSERE Ansichten. Diese basieren ausschließlich auf UNSEREN gemachten Erlebnissen und Erklärungen, die WIR bis jetzt erhalten haben. 

3 Kommentare:

  1. Sehr differenziert sind eure Überlegungen zur Glaubenspraxis. Ein Blick ins "Fremde" erfordert immer den Blick zurück ins eigene. Wenn ihr mal nachdenkt, gibt es auch bei uns viele Rituale, über die wir kaum noch nachdenken.

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  2. Ihr lieben zwei,
    ich finde es sehr spannend, was ihr über euere Begegnungen mit dem Hinduismus schreibt. Vielleicht ist unsere Welt inzwischen viel zu kopflastig geworden. Alles muss hinterfragt werden. Wie schön ist es da, einfach mitmachen zu können und zu feiern. Ich wünsche euch noch viele solche Feste! Lieben Gruß, Heike

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  3. Liebe Renate, liebe Heike, lieber Rest, der sich über den Artikel (was uns sehr freut) den Kopf zerbrochen hat. Eure Einwände sind berechtigt. Ich hab nochmal drüber nachgedacht. Vielleicht ist man bzw. bin ich als christlich geprägte Europäerin gar nicht im Stande zu verstehen, dass man auch Sachen einfach so machen kann, sie ihren spirituellen Wert in der ausführung haben sozusagen. Außerdem stimmt es schon. Die Leute hier freuen sich sehr, wenn man einfach mitmacht :-)
    Liebe Grüße zurück,
    Jule

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