Freitag, 27. Februar 2015

"Grundlos glücklich grundlos sein!" - Eine Studie über das Glücklichssein


Ich glaube, das ist immer noch das was mich an meinem Indien am meisten beeindruckt.
Dass die Leute um mich herum so selten schlecht drauf sind. Sie einen Zustand des Glücklichseins inne haben, dem ich so noch nie irgendwo anders begegnet bin. Es scheint so, als seien sie jeden Tag grundlos erstmal glücklich und zufrieden. Während ich zu Hause immer das Gefühl hatte, die Menschen (mich einbezogen) brauchen jeden Tag auf‘s neue einen Grund glücklich zu sein. Ich habe mich schon oft gefragt, wie das funktioniert mit dem Glücklichssein in meinem Indien, hier also einen Versuch einer Studie.


Ich beobachte: Der natürliche, alltägliche Zustand des Glücklichseins bleibt so lange erhalten, bis er unterbrochen wird. Nehmen wir ein Beispiel: Direktor sauer. Problem? Ja.  
Wie also wieder in den Zustand des Glücklichsseins?

1. Kein Problem unlösbar 
Für InderInnen scheint kein Problem unlösbar zu sein. Man behandelt es auf jeden Fall. Auf eigene Faust. Und wenn es nur die Symptome sind und nicht der Kern des Problems. Die effektive, deutsche Art der Problemlösung scheint nachhaltiger, logischer, gleichzeitig natürlich auch komplizierter. Die Indische jedoch versetzt einen schneller wieder in den Zustand des glücklich und zufrieden Seins. 

2. Gesichtswahrung
Diesen Zustand unterbricht man wenn nur still und leise. In der Öffentlichkeit heulen geht hier gar nicht. 
Ein Blick nach unten - „You sad?“
Etwas zugequollenes Gesicht - „You crying?“ 
Ich registriere Gesichtswahrung kann auch dazu beitragen, langfristiger glücklich zu sein. Sich einfach nicht jedem Gefühl so schnell hinzugeben. Mücken Mücken sein lassen. 
Irgendwie ist es einfach wichtig zufrieden zu sein und diesen Zustand beizubehalten so lange es keinen richtigen Grund gibt ihn aufzugeben. Denn: Wenn man nicht zufrieden ist, was hat man dann vom Leben?

3. Humor 
Anstatt weinen, lieber lachen: Ein weiterer Baustein des Glücklichseins: Humor, ein wichtiges Thema. Einfach darüber lachen. Ameisen im Drucker. Ameisen mit auf Verträge kopiert. Ist doch eigentlich ziemlich komisch, fand unser Direktor jedenfalls. Dieses „über alle Probleme lachen“ ist für den Beobachter schwer nachvollziehbar. Kinder sind weggelaufen, haben Scheiße in der Schule gebaut, ein Handy eines anderen Kindes gestohlen. 
Das ist nicht witzig! Mann! 
Doch! Denn sobald man über das Problem lachen kann, ist es nicht so unlösbar, unheilvoll, groß. Sondern lösbar, weil absurd. Wenn man hier alle Probleme an sich heranließe und sie als solche benannte, wäre die Instandhaltung des Glücklichkeitszustands unschaffbar. Außerdem gäbe es da ja noch die symptomatische Lösung des Problems (siehe 1. ).




4. Immaterialität
Außerdem ein Bestandteil des indischen Glücksgerüsts: Immaterialität. Wenig Besitz, wenig Konsumgüter. Ich erinnere mich noch gut an Yamilas Gesicht, als mein erstes (ziemlich großes) Paket aus Deutschland kam. Der Gesichtsausdruck war schlichtweg ein verständnisloser. „Your room full of things. Why?“ Ja stimmt eigentlich. Wieso? Ich, und ich behaupte auch viele andere Menschen aus Industrieländern definieren sich mehr als sie denken, über das was sie haben. Sich über Besitz zu definieren, ist sinnlos. Weil man das verlieren kann und es immer Menschen gibt, die mehr und die weniger haben. Unsere Kinder im Hostel teilen sich alles, von Zimmer, Bett bis zu Klamotten. Die Szene eines kleinen Kindes im Supermarkt, das sich krampfhaft heulend am Bein seiner Mutter festkrallt weil es UNBEDINGT dieses Überraschungsei braucht, ist da verdammt fern. Und scheint so absurd. Das Kind ist unglücklich. Würde es sich doch seine Klamotten teilen.

5. Einschränkung 
„Langzeitstudien zeigen: Während das Angebot der Karrierewege, der Lebensstile und der Konsumgüter steigt, sinkt die durchschnittliche Zufriedenheit der Menschen in vielen Ländern.“ ( Quelle: http://www.zeit.de/campus/2014/05/entscheidungen-treffen-stress-zufriedenheit)
Die meisten InderInnen, die ich kennen lerne, haben eine vorbestimmte Zukunft. Sie haben nicht viel Wahl und finden sich mit dem ab, was sie haben ab. Wenn ihre Familie hinter ihnen steht, ist es für sie richtig. Man könnte jetzt also sagen, Einschränkungen machen glücklich. Ist wahrscheinlich auch so. Frei nach dem Motto: Hätte hätte Fahrradkette.
Ich finde trotzdem nicht, dass man die InderInnen, die ich beobachtete, als „eingeschränkte“ Menschen bezeichnen kann. Denn irgendwie ist in einem Rahmen alles möglich. Ich rede jetzt nicht von Jobs und Partnerwahl, nein, diese ist zumeist vorbestimmt. Ich rede von spontanen Aktionen, Dinge die man dann halt einfach macht,. zum Beispiel fahren eben diese unendlich viele Kilometer durchs Land, um einen Freund zu besuchen. Feiern immer, wenn es etwas zu feiern gibt. Machen oft bei unseren Spielen mit, auch als Erwachsener. Nehmen Peinlichkeiten mit Humor. Keinen Humor versteht allerdings das Kind vor dem Süßigkeitenregal im Supermarkt, dessen Kopf rot anläuft vor lauter sinnloser Wut.

6. Familie
Ich stelle fest, das Glücklichsein der InderInnen um mich herum hängt stark von der Familie ab. Geht es der Familie gut, geht es dem Individuum gut. Unsere Mentorin sieht jedes Mal aus als hätte sie Krippe, wenn es einem ihrer Familienmitglieder schlecht geht. "Come to my home" hört man so oft. Dann sind sie glücklich, wenn sie bei ihrer Familie sind und diese uns vorstellen. Das ist so schön. Denn Familie hat jeder. Es ist leicht auf sie stolz zu sein und diese Art von Stolz führt für uns zu ganz viel Offenheit und vielen Einladungen. So sind auch Namen jeglicher Familienmitglieder fester Bestandteil eines jeden Smalltalks.

7. Tanzen und Musik
Zuletzt der alleraller wichtigste Beitrag zum indischen Glücklichsein - und davon bin ich fest überzeugt - ist die Freude am Tanzen und an der Musik. Wenn unsere Jungs loslegen, werde ich schon vom Zuschauen glücklich. 

Das Fazit meiner Studie lautet: Jeden Tag auf's neue erstmal grundlos glücklich sein lohnt sich. Wenn man es schafft diese sieben Punkte locker, indisch in sein Leben einzubauen, hält es auch an. 
Und Tanzen, ganz viel Tanzen. 


Diesen Eintrag hat Jule geschrieben, hat ihn aber SEHR oft mit Franzi diskutiert. Sie hat ihn auch korrigiert und an einigen Stellen verbessert :-)


1 Kommentar:

  1. Es hoert sich von fern gar nicht so kompliziert an! Und auch wir koennen ja morgens aufstehen und uns darueber freuen, dass wir da sind - ich denke, so versuchen auch wir unser Glueck - nur nachhaltig gluecklich zu sein, dies gelingt wohl den Indern sehr sehr viel besser. Also waere es schoen, den "indischen Anteil" in uns zu finden. Da hat mir der Artikel sehr geholfen!

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